Musiktherapie mit Geflüchteten

2022-04-10

Wegen des Krieges in der Ukraine und der Notsituation von hunderttausenden Flüchtlingen die derzeit in Europa vor dem Krieg fliehen, hat die EMTC ein Konzept entwickelt. Eingeflossen sind hierin schon bestehende Erfahrungen von Musiktherapeut*innen aus der Arbeit mit Geflüchteten, zum Beispiel aus Griechenland. Sie finden hier den Wortlaut des Flyers und darunter das englischsprachige Original.

FLÜCHTLINGSPROJEKTE IN DER MUSIKTHERAPIE - EIN LEITFADEN

Wir sind uns bewusst, dass jede Flüchtlingsunterkunft anders ist und auch die Bedürfnisse der Flüchtlinge unterschiedlich sind, daher sind die folgenden Aussagen allgemeine Richtlinien, um in dieser schwierigen Situation Unterstützung zu bieten. Bitte erfragen Sie unbedingt vor Arbeitsbeginn die erforderlichen Genehmigungen!

  • Die Flüchtlingsreise birgt viele Widrigkeiten für Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit aus ihrer Heimat fliehen. Dies führt dazu, dass viele Flüchtlinge traumatisiert ankommen und möglicherweise psychische Probleme entwickeln. Es ist allgemein bekannt, dass Musiktherapie als nonverbaler, ressourcenorientierter Ansatz eine wichtige Ergänzung zur ärztlichen und psychologisch-psychotherapeutischen Betreuung darstellen kann, insbesondere in Fällen, in denen die verbale Kommunikation erschwert ist.

  • Die Behandlung traumatisierter Menschen erfordert einen sicheren Rahmen, die meisten Orte, an denen wir mit Geflüchteten arbeiten, bieten diesen nicht. Die Prinzipien der psychologischen Ersten Hilfe (PFA - psychological first aid) können die Musiktherapie in Flüchtlingslagern und -unterkünften leiten. Diese PFA-Komponenten umfassen die Förderung eines Gefühls von Sicherheit, Ruhe, Selbst- und Kollektivwirksamkeit, Verbindung und Hoffnung.

  • Diese Situation führt zu Konsequenzen für Konzeption und Praxis musiktherapeutischer Angebote: Bedenken Sie die Vorläufigkeit der Situation und die unsicheren und unvorhersehbaren Rahmenbedingungen!

  • Viele Musiktherapeut*innen bezeichnen ihre Arbeit in der Flüchtlingshilfe als „Projekte“ und nicht als „Behandlung“ und verorten sie im Schnittfeld zwischen Therapie, künstlerischer Tätigkeit und Pädagogik.

  • Individualbezogene Ziele der Musiktherapie wie psychische Stabilisierung, Beziehungskompetenz, Selbstwirksamkeit werden ergänzt durch soziale Ziele wie Gemeinschaftsförderung, interkulturelles Lernen und Überwindung von Sprachbarrieren. Darüber hinaus orientieren sich einige der Projekte am künstlerischen Medium selbst und stellen die Musik als nonverbales und nicht bedrohliches Medium in den Mittelpunkt der Arbeit.

  • Die musiktherapeutische Begleitung von Geflüchteten ist ein Feld mit hohem Handlungsbedarf. Es braucht Flexibilität, Mut und Fehlertoleranz, sich auf einen Prozess mit „vielen Unbekannten“ einzulassen. Besonders für Kinder können Musiktherapiegruppen die fremde und oft feindselige Umgebung der Flüchtlingslager in eine freundlichere verwandeln.

  • Innerhalb eines Transit-Flüchtlingslagers kann es ziemlich schwierig sein, einen geeigneten Raum für Musiktherapie zu finden, daher muss man kreativ sein, um den erforderlichen Bereich abzugrenzen und Ablenkungen zu beseitigen.

  • Als ausgebildete Musiktherapeutinnen bringen wir ein spezifisches Know-how in unsere Arbeit ein, das uns hilft, in unsicheren Situationen zu bestehen: Wir sind Expertinnen für Improvisation, den musikalischen Umgang mit dem Unvorhersehbaren; wir betrachten Reflexionsräume wie Supervision als wichtigen Bestandteil unserer Arbeit; wir haben eine Sensibilität für Traumasymptome und -dynamiken; wir wissen um die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit und Kompetenz. Auch wenn wir unser Angebot nicht als therapeutisch im klinischen Sinne bezeichnen, bleibt die „Therapie“ in diesen außerklinischen Kontexten eine Haltung und ein professioneller Hintergrund.

  • Es ist wichtig, sorgfältig darüber nachzudenken, wo Hilfe in einer konstruktiven, kultursensiblen und ethisch reflektierten Weise ansetzen kann, wobei die beruflichen Grenzen und ethischen Überlegungen in allen therapeutischen Unterstützungsangeboten und Dienstleistungen anerkannt werden.

  • Dabei spielt die Eigenschaft von Musik die zentrale Rolle: Sie ist stark subjektiv – wir können uns beim Hören und Spielen „unserer“ Musik tief und innig in unserer eigenen Person und Biografie verankern, und sie ist universell – Musik hat das Potenzial, Menschen über zeitliche, kulturelle und biografische Grenzen hinweg zu verbinden.

  • Für professionell tätige Therapeut*innen ist es wichtig, nach traumatischen Erfahrungen eine therapeutische Stabilisierung anzustreben und bedingungslose Akzeptanz für alle Arten von Gefühlsäußerungen, Sorgen und Bedürfnissen zu zeigen.

  • Wenn Sie als Musiktherapeut*in in den Flüchtlingsbereich eintreten, ist es wichtig zu bedenken, dass die Grundbedürfnisse der Flüchtlinge, denen wir begegnen, möglicherweise nicht erfüllt sind. Daher sollten wir uns zuerst um diese Bedürfnisse kümmern und dann mit Musiktherapiediensten fortfahren. Es ist auch wichtig, sich (falls zutreffend/verfügbar) weiter beraten zu lassen, um möglichen kumulativen Gesundheitsproblemen vorzubeugen.

  • Wenn wir mit Flüchtlingskindern arbeiten, sollten wir bedenken, dass es hilfreich ist, in unserer Praxis einen trauma-informierten Ansatz zu verfolgen, um Resilienz, Wohlbefinden und Hoffnung zu stärken.

  • Selbstfürsorge ist wichtig für Musiktherapeut*innen, die in Flüchtlingssituationen tätig sind, sowie zur Beruhigung und zum Abbau des allgemeinen Stresses, der durch die jeweilige Situation und die gemeinsamen Erfahrungen verursacht wird.

European Music therapy Confederation, 2022

Leitfaden MT Flüchtlingsarbeit PDF